Verfasste Studierendenschaft

Baden-Württemberg ist eines von zwei Bundesländern, in dem die offizielle Studierendenvertretung, der „AStA“ faktisch handlungsunfähig ist. Das liegt daran, dass es hier keine Verfasste Studierendenschaft gibt – wie es dazu kam, was das bedeutet und weitere Hintergründe gibt es auf den folgenden Seiten.

Was ist das Problem?

Deine Studierendenvertretung arbeitet zwar richtig viel, um allen Studierenden das Studium zu erleichtern, wird aber von Land und Hochschulen offiziell nicht anerkannt:

Ende der 1970er-Jahre schaffte die damalige Landesregierung von Baden-Württemberg die Verfasste Studierendenschaft, also die demokratische Vertretung der Studierenden, ab. Der seither gesetzlich vorgesehene „AStA“ darf sich nicht mehr (hochschul-)politisch äußern, besitzt kein eigenes Geld mehr und muss jede einzelne Entscheidung vom Rektorat genehmigen lassen.

Das merkst Du vielleicht nicht direkt, denn im Laufe der Zeit haben sich viele unterschiedliche Ersatzmodelle an den Hochschulen etabliert, die dann UStA, u-asta, FSRVV, FaVeVe, FSK oder ähnlich heißen und versuchen, die Arbeit weiterzuführen, die vorher die Verfasste Studierendenschaft geleistet hat.

Jedoch mit Unterschieden: Deine unabhängige Studierendenvertretung bekommt kein Geld vom Land für Beratungsangebote oder die Vertretung der studentischen Interessen. Denn das ist politische Arbeit und die ist verboten.

Um Selbstverständliches leisten zu können, muss sich Deine Studierendenvertretung in einer rechtlichen Grauzone am Rande der Legalität bewegen.

Warum mundtot?

Am 10. November 1977 wurde die Verfasste Studierendenschaft in Baden-Württemberg abgeschafft. Der damalige Ministerpräsident und ehemalige NS-Marinerichter Filbinger wollte mit diesem Schritt „den Sympathisanten­sumpf des Terrorismus austrocknen“, den er an den Hochschulen vermutete.

Seit dem ist die einzige gesetzlich vorgesehene Studierendenvertretung, der „Allgemeine Studierendenausschuss (AStA)“ faktisch handlungsunfähig. Anders als in vierzehn anderen Bundesländern ist er auf einen Unterausschuss des Senats reduziert, mit dem Rektor als Vorsitzenden. Er darf sich nur noch mit musischen, sportlichen, kulturellen und eingeschränkt mit sozialen Fragen beschäftigen. Zu Themen der Hochschulpolitik, wie beispielsweise der Bachelor/Master-Um­stellung, BAföG oder Studiengebühren, darf er sich nicht äußern und kann daher seiner Funktion als Interessenvertretung der Studierenden nicht gerecht werden.

Die damaligen Begründungen für ein Verbot der Verfassten Studierendenschaft entbehren heute mehr denn je jeglicher Grundlage. Andere Bundesländer, in denen die Verfasste Studierendenschaft in den 1970er Jahren ebenfalls abgeschafft wurde, haben sie seit Jahren wieder eingeführt. Inzwischen fordern sogar mehrere Hochschulen in Baden-Württemberg die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft.

Was bedeutet eine Verfasste Studierendenschaft?

Das Recht, sich selbst zu vertreten.

Bisher muss jeder Beschluss des „AStA“ vom Rektorat abgesegnet werden. Mit einer Verfassten Studierendenschaft hingegen können sich die Studierenden selbst vertreten. Sie können Verträge schließen und so z.B. bei Verhandlungen zum Semesterticket besser gegen Preiserhöhungen vorgehen.

Finanzautonomie

Die Verfasste Studierendenschaft darf selbst über ihre Finanzen entscheiden – bisher muss das Rektorat jede noch so kleine Ausgabe genehmigen. Außerdem darf die Verfasste Studierendenschaft von den Studierenden einen geringen Beitrag – meistens zwischen drei und fünf Euro im Semester – erheben um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Das be­deutet auch deutlich mehr Mittel als bisher für die Aufgaben der Studierendenvertretung: Damit werden z.B. bessere kostenlose Beratungen, eine effektivere Vertretung der studentischen Interessen und ein größeres Serviceangebot möglich.

Satzungsfreiheit

Du bestimmst selbst, wie Deine Interessen­vertretung konkret organisiert sein soll: In welchen Gremien die demokratische Meinungsbildung stattfindet, wer Dich vertritt und wie du dich beteiligen willst.

Meinungsfreiheit

Eine Verfasste Studierendenschaft besitzt ein (hochschul-)politisches Mandat, so dass die Studierendenvertretung nicht länger den Beschränkungen unterliegt, sich zu wichtigen Themen nicht äußern zu dürfen. Dadurch kann sie aktiv im Interesse der Studierenden in das politischen Tauziehen eingreifen.

Aber es gibt doch schon jetzt eine unabhängige Studierendenvertretung?

Die unabhängigen Studierendenvertretungen versuchen die Nachteile des Verbots einer Verfassten Studierendenschaft auszugleichen, allerdings unterliegen auch sie einigen Beschränkungen:

  • Sie verfügen über keine eigenen Mittel und die Hochschulleitung kann sie offiziell nicht als Studierendenvertretung anerkennen.
  • Eine Verfasste Studierendenschaft würde zur offiziellen Ansprechpartnerin für die Hochschule, die Stadt und das Land. Sie kann die Meinungsbildung der Studierenden unterstützen und eine effektivere Vertretung der studentischen Interessen gegenüber Hochschule, Gesetzgeber und Gesellschaft gewährleisten.
  • Schließlich sind alle unabhängigen Modelle von vorne herein lediglich als Übergangsmodelle bis zur Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft ausgelegt.

Schritte auf dem Weg zur Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft

  • am 16.5.2007 hat sich der Senat der Universität Freiburg einstimmig im Rahmen der Anhörung zum EHFRUG für die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft ausgesprochen
  • bei der „mundtot“-Ausstellung wurde zusammen mit den Jusos und der Landtagsabgeordneten Haller-Haid eine Ausstellung zum dreißigjährigen Geburtstag des Entmündigungsgesetzes aufgebaut.
  • mit dem neuen Rektor Engler wurden Diskussionen geführt, um ihn auf das Problem aufmerksam zu machen und seine Kenntnis zur verfassten Studierendenschaft zu erweitern.