Anlass dieser Stellungnahme ist eine Bestandsaufnahme der Fachschaften zum Thema Studiengebühren an der Universität Tübingen. Diese Stellungnahme impliziert nicht, dass wir uns in irgendeiner Weise mit Studiengebühren abgefunden haben, sondern soll u.a. aufzeigen, was für Beweggründe wirklich zu deren Einführung geführt haben und warum Studiengebühren nicht nur auf der Basis einer grundsätzlichen Kritik, sondern auch auf Grund der Vergabepraxis abzulehnen sind. Außerdem wollen wir mit dieser Stellungnahme auf die chronische Unterfinanzierung der Universitäten und die systematische Benachteiligung der Lehre bei der Verteilung von Finanzmitteln aufmerksam machen und den Zusammenhang dieser Punkte mit mangelnden Mitbestimmungsrechten für Studierende aufzeigen.
1. (Unter-)Finanzierung der Lehre an den Universitäten
Um auf die Probleme bei der Verwendung der Studiengebühren und die Defizite bei der Mitbestimmung einzugehen, muss man zunächst die Finanzierung der Lehre an den Universitäten betrachten.
Wichtig zu wissen ist, dass im Rahmen des Solidarpaktes II zwischen der Landesregierung und den Universitäten die Mittel für die Universitäten seit 2007 für 10 Jahre (also bis 2017) auf „gleich bleibendem Niveau“ festgeschrieben sind. So soll suggeriert werden, dass es keine Kürzungen gibt, faktisch steigen aber die Gehälter und die Preise (vor allem für Energie) kontinuierlich an, so dass dies letztendlich eine beständige Kürzung der Mittel für die Hochschulen bedeutet.
Abgesehen davon wurde vom Land ein so genannter Innovationspool eingeführt. In diesen geben alle Universitäten jährlich einen gleichen Anteil ihrer Mittel ab, um sich dann im Anschluss in einem Wettbewerb um einen möglichst großen Anteil an den Mitteln aus diesem neu geschaffenen Topf zu bewerben. Diese Kürzungen wurden an der Universität Tübingen nach dem Rasenmäher- Prinzip an alle Fakultäten gleichermaßen weitergegeben und durch einen universitätsinternen Innovationspool nach dem gleichen Prinzip noch verschärft. Da die Gelder aus diesen Innovationspools natürlich nur in „innovative“ Forschung fließen, treffen die vorgenommenen Mittelkürzungen, die an den Fakultäten die Streichung von sieben Prozent der Einnahmen bedeuten, die Lehre besonders schwer.
Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist das Fehlen jeglicher Zweckbindung der Gelder. So gibt es weder vom Land noch intern an den Universitäten klare Vorgaben, welcher Anteil der zugewiesenen Mittel an der Universität bzw. in den Fakultäten für die Lehre ausgegeben werden muss und z.B. keine Mittel die explizit für Investitionen in die Lehre vorgesehen sind. Bei der anhaltenden Unterfinanzierung der Universitäten wird deshalb oft an solchen Punkten zuerst gespart.
2. Verwendung der Studiengebühren
Das von der Landesregierung erklärte Ziel einer „Verbesserung der Lehre“ wurde in weiten Teilen bereits verworfen. Die Vergabe orientiert sich in zunehmendem Maß an der Formulierung im Gesetz, die eine Verwendung der Studiengebühren „zur Erfüllung der Aufgaben in Studium und Lehre“ vorsieht und wohl die wirklichen Intentionen bei der Einführung von Studiengebühren offenbart: Eine Refinanzierung von faktischen Kürzungen durch Innovationspools und durch Mehrausgaben auf Grund steigender Gehälter und Preise.
Von allen Fachschaften werden schon jetzt – also nicht einmal zwei Jahre nach Einführung der Studiengebühren in Baden-Württemberg – Fälle berichtet, in denen bereits vorhandene Maßnahmen nun aus Studiengebühren refinanziert werden. Hier werden vorher gestrichene Stellen aus Studiengebühren „neu geschaffen“ und Tutorienmittel, die vom Land nicht mehr zugewiesen werden, aus Studiengebühren bezahlt, damit die Lehre in ihrer bisherigen Form weiterhin funktioniert. Da werden das vom Land vorgeschriebene Qualitätsmanagement im Bereich der Lehre – also Evaluationen – und bisher anderweitig finanzierte Auswahlgespräche für Studiengänge aus Studiengebühren finanziert. Und diese Liste lässt sich weiter fortsetzen.
Aber damit nicht genug, es gibt auch viel subtilere Formen der „Refinanzierung“. So werden beispielsweise in den Naturwissenschaften Kursgeräte in Millionenhöhe angeschafft, weil die 40 Jahre alten Geräte nicht mehr funktionieren und die Fakultäten in ihrem Budget keinen finanziellen Spielraum für die Erneuerung der Kursausstattungen haben, vor allem aber auch keine klare Verpflichtung, einen bestimmten Anteil ihres Etats für solche Maßnahmen einzusetzen. Letztendlich wird hier also die kontinuierliche Unterfinanzierung der Universitäten über die letzten Jahrzehnte von den Studierenden finanziell ausgebadet.
Hier zeigt sich also, dass man die Bekenntnisse der Landesregierung zu einer „Verbesserung der Lehre“ aus Studiengebühren getrost als Lüge bezeichnen darf. Wer für eine kontinuierliche Unterfinanzierung der Hochschulen und insebesondere der Lehre verantwortlich ist und zudem im „Landeshochschulgebührengesetz“ klar formuliert, dass die Studiengebühren nur „zur Erfüllung der Aufgaben in Studium und Lehre“ gedacht sind, macht sich mit Aussagen wie der folgenden, zu finden auf der Homepage des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württembergs, geradezu lächerlich: „Die Einnahmen aus den Studiengebühren werden zur Verbesserung der Qualität des Lehrangebots eingesetzt. Damit profitieren Studierende und Lehrende von den zusätzlichen Finanzmitteln für die Hochschulen gleichermaßen.“
3. Mitbestimmung bei der Studiengebühren-Vergabe
Auch dies ist ein Punkt, zu dem es viele Lippenbekenntnisse zur studentischen Mitbestimmung von Seiten des Landes gab. Im Gegensatz dazu hingegen ist der „Bericht des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2007“ zu ersten Erfahrungen mit den Studiengebühren recht ehrlich:
„Alle Hochschulen und Berufsakademien haben die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung der Studierenden umgesetzt. Die gesetzliche Mindestbeteiligung besteht in einer Anhörung und Erörterung des Verteilungsvorschlags mit den Studierenden (sog. „Benehmen“). Zahlreiche Hochschulen haben die Studierenden über dieses Maß hinaus beteiligt, indem sie etwa Kommissionen eingerichtet haben, die den Verteilungsvorschlag erarbeiten und in denen die Studierenden paritätisch vertreten sind. Nach der Rechtslage steht allerdings dem Vorstand das letzte Wort bei der Verteilung zu.“
Dies spiegelt, rein oberflächlich betrachtet, auch die Situation an der Universität Tübingen recht gut wider. Wo das „Landeshochschulgebührengesetz“ nur ein „Benehmen“ mit den Studierenden vorsieht (also die Pflicht, mit den Studierenden zu reden), räumt die Universitätsleitung den Studierenden eine stärkere Mitbestimmung ein.
An den Fakultäten entscheiden die Studienkommissionen über die Vergabe der zugewiesenen Mittel, hier sind also in jedem Fall Studierende beteiligt. Dabei ergibt sich aber bereits eine sehr weite Bandbreite der Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Während in den Studienkommissionen zu diesem Thema an einigen Fakultäten große Rücksichtnahme auf die Studierenden geübt und ihr Widerspruch gegen einzelne Anträge sehr ernst genommen wird, gibt es leider auch zahlreiche Negativbeispiele. So wurden beispielsweise an einigen Fakultäten die Anträge für die Studiengebührenvergabe erst in den Sitzungen selbst präsentiert, was eine wirkliche Überprüfung und Bewertung der beantragten Anliegen vor einer Abstimmung darüber unmöglich macht. An anderen Fakultäten wurden sogar die von den Studienkommissionen beschlossenen Listen vor der Weitergabe an die zentralen Stellen heimlich verändert.
In einigen dieser Fälle konnte allerdings glücklicherweise die studentische Kontrolle auf gesamtuniversitärer Ebene korrigierend eingreifen. Dies war in der vom Rektorat geschaffenen „Kommission zur Erörterung zur Verwendung der Studiengebühren“ möglich, in der u.a. fünf Studierende vertreten sind. In dieser Kommission werden die Anträge aus den Fakultäten nochmals überprüft (sodass hier ein Abgleich der Studienkommissionsbeschlüsse mit den der Kommission vorgelegten Anträgen von Seiten der Studierenden möglich war) und die Vergabe der zentralen Mittel beschlossen. Auch dabei wurde oft über das „Benehmen“ hinaus Rücksicht auf studentischen Widerspruch genommen, letztendlich wird die Vergabe jedoch vom Rektorat beschlossen und die Kommission kann nur Empfehlungen abgeben. Deshalb gab es auch hier bereits Entscheidungen, die ganz klar gegen den Willen der Studierenden gefällt wurden. So wird der Erhalt des Hochschulsports (nicht etwa der Ausbau!) aus Studiengebühren finanziert, obwohl die Zuordnung des Hochschulsports zu den „Aufgaben in Studium und Lehre“ (was der bereits erwähnte gesetzlich vorgeschriebene Verwendungszweck für Studiengebühren ist) rechtlich fraglich ist. Denn es hat nichts direkt mit der Erbringung von Studienleistungen zu tun, wenn man in seiner Freizeit in einer Turnhalle der Universität Handball spielt.
4. Sachzwänge bei der Studiengebühren-Vergabe
Abgesehen von dieser vordergründigen Mitbestimmung jedoch muss man auch einen anderen Sachverhalt hier ganz klar erwähnen: Die sogenannten Sachzwänge. In unzähligen Fällen wird den Studierenden auf Grund der schwindenden Mittel als Alternative zur Refinanzierung bestimmter bereits bestehender Maßnahmen aus Studiengebühren nur deren Streichung geboten. Fast alle Fachschaften berichten von Fällen, in denen ihnen ganz klar gesagt wurde: „Wenn ihr diesen Studiengebühren-Antrag nicht unterstützt, seid ihr dafür verantwortlich, dass eure Kommillitoninnen und Kommilltonen das Angebot XY nicht mehr wahrnehmen können.“ Und das sogar in Bezug auf Stellen und Tutorien in der Grundlehre, die laut Aussage der jeweiligen Fakultätsleitungen also ohne die Studiengebühren nicht mehr gewährleistet werden könnte.
Wenn aber Fachschaften in solch eine Zwangslage versetzt werden, in der Sie fast schon erpresst werden können, dann geht jegliche Entscheidungsfreiheit und damit das ohnehin eingeschränkte Mitbestimmungrecht verloren. Es wird, wie so vieles, von der Unterfinanzierung der Universitäten ausgehöhlt.
5. Forderungen
Aus der oben dargestellten Situation an der Universität Tübingen und den Baden-Württembergischen Universitäten generell, leiten wir deshalb folgende Forderungen ab:
(1) Die Hochschulen müssen ausreichende Finanzmittel zur Verfügung gestellt bekommen. Dabei muss es klar zweckgebundene Mittel für die Lehre geben, die auch gewährleisten, dass Investitionen in Raumausstattungen (Beamer, Mikrofone, Bestuhlung usw.) sowie Kursgeräte (vor allem in den Naturwissenschaften benötigt) getätigt werden.
(2) Ist diese Finanzierung gesichert, erachten wir eine Verbesserung der Lehre durch zusätzliche Finanzmittel kaum für sinnvoll. Ist die Lehre erst einmal mit ausreichenden Mitteln versorgt, sollte eine Verbesserung über neue Lehrkonzepte und klare Anreize für eine gute Lehre angestrebt werden. Studiengebühren verlieren damit jegliche Bedeutung bezüglich einer „Verbesserung der Lehre“.
(3) Eine wirkliche studentische Mitbestimmung an den Universitäten muss wieder eingeführt werden. Diese soll aber nicht nur über eine ausreichende Finanzierung der Hochschulen von Sachzwängen befreit werden, sondern muss auch eine verfasste Studierendenschaft beinhalten, der eine Mitgestaltung auch in der (Bildungs-)Politik möglich und erlaubt ist. Nur so werden Studium und Lehre das notwendige Gehör bekommen. Und nur so wird man wirkliche Verbesserungen der Lehre ermöglichen und durchsetzen können.
Diese Forderungen richten wir zunächst an die Landesregierung, die hier die Entscheidungsmacht trägt. Da die Landesregierung jedoch entgegen unserer Forderungen bisher auf eine zunehmende Ent-Demokratisierung und Unterfinanzierung der Hochschulen hingewirkt hat, sehen wir die Notwendigkeit, dass auch alle anderen Betroffenen und Verantwortlichen an den Universitäten, in der Politik und in der gesamten Gesellschaft zu den Themen Studiengebühren, Finanzierung der Universitäten und Mitbestimmung klar und öffentlich Stellung beziehen und uns in unseren Anliegen mit Nachdruck zu unterstützen.
Es muss schließlich auch im Interesse der Angestellten, der Mitarbeiter, der Professoren und der Rektoren an den Universitäten sein, dass diese gut finanziert sind. Denn erst wenn die Mitglieder der Universitäten nicht mehr nur einen Mangel verwalten, sondern unter ernsthafter Beteiligung aller Gruppen (also auch der Studierenden) freie Entscheidungen über die Verteilung von ausreichenden Geldern treffen können, ohne dabei in verbitterte Verteilungskämpfe untereinander zu verfallen, werden sie in der Lage sein, ihre „Aufgaben in Studium und Lehre“ wie auch in der Forschung mit vollem Einsatz anzugehen. Und erst dann können Universitäten ihren zentralen Bildungs- und Forschungs-Auftrag als essentielle Institution unserer demokratischen Gesellschaft wahrnehmen.