Wer hat, dem wird gegeben.

Hat in Deutschland wirklich die Elite den Vorrang? (Plakatwettberwerb des DSW)

Dem UN-Sonderberichterstatters für Bildung Vernor Muñoz gelang es vor einigen Jahren, das deutsche Bildungssystem mit drei Adjektiven voll zu beschreiben: selektiv, diskriminierend, undemokratisch. Leider hat er Recht und leider hat sich bisher wenig getan.

Auch das nunmehr von der Bundesregierung aufgelegte nationale Stipendienprogramm, die Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (kurz BAföG) und die Erhöhung des Büchergeldes für Stipendiaten kann über diesen Zustand nicht hinweghelfen.

Neben der dringend gebotenen Anpassung des BAföG wird auch das Büchergeld für Stipendiaten von 80 auf 300 Euro erhöht. Büchergeld ist der Betrag, den jeder Stipendiat unabhängig vom Einkommen der Eltern erhält, also auch solche, die im Regelfall keinen Anspruch auf Leistungen bspw. BAföG hätten. Einmal mehr macht die Bundesregierung scheinbar Geschenke an die, die es am wenigstens nötig haben.

Doch dieses Geschenk kommt nicht bei allen Stipendiaten gut an. Schon über 2.000 Stipendiaten unterstützen eine Petition gegen eine Erhöhung. Sie halten eine Anhebung um 375 Prozent für unverhältnismäßig und unangemessen. Denn gerade angesichts der finanziellen Situation vieler Studierender sehen sich die Stipendiaten schon jetzt privilegiert.

Auch das Gesetz zur Einführung eines nationalen Stipendienprogramms wird wohl kaum den Effekt haben, den sich die Bundesregierung bei ihrem Kabinettsbeschluss am Mittwoch vorstellte. Sie plant, ein neues Stipendienprogramm aufzulegen, das 8% aller Studierenden mit 300 Millionen Euro jährlich bezuschusst. Auch die Wirtschaft soll ihren Anteil an dem Programm leisten, nur ist sie bisher von diesem Vorschlag wenig angetan. Nur die besten 8 % der Studierenden sollen den neuen Zuschuss erhalten, der sowohl ortsgebunden ist (und damit die Mobilität der Studierenden zusätzlich einschränkt) als auch lediglich Anreize für die Leistungsstärksten bereithält, die ohnehin meist aus Familien mit höherem Einkommen stammen. Einmal mehr wird der Elitenförderung Vorrang vor der Förderung aller Studierenden eingeräumt. Dass die Novelle des BAföGs gleichzeitig den Höchstfördersatz um 13 Euro anhebt, ist fast schon anachronistisch.

Einmal mehr sperrt sich eine Bundesregierung gegen die von den Spitzenverbänden der Studierenden geforderten Reform des BAföGs, im Sinne einer Umgestaltung der Studienfinanzierung zu einem bedarfsdeckenden, eltern- und herkunftsunabhängigen als Vollzuschuss. Denn nur so kann das BAföG seinen Charakter als Breitenförderungsinstrument zurückgewinnen und tatsächlich neuen Studienanreize schaffen. Jetzt wird es aber missbraucht, um eine weitere Elitenförderung auszubauen. Augenscheinlich wird dies, wenn man die Korrelation der Ereignisse betrachtet, mit der BAföG-Novelle soll nämlich auch die Nichtanrechnung von Stipendien in Höhe von bis zu 300 Euro beschlossen werden. Gut für die, deren Büchergeld bald an dieser Grenze liegt oder die zu den besten 8% gehören.
Vom ursprünglichen Inhalt des BAföGs als Vollzuschuss ist heute nicht mehr viel geblieben. Wenn man das Ziel der Öffnung der Hochschulen tatsächlich konsequent vorrantreiben will, dann muss man in der Breitenförderung ansetzen.

Laut einer Studie des Hochschulinformationssystems Studienberechtigte 2008 [PDF] sehen 76% der Studienberechtigten, die sich gegen ein Studium entscheiden, in der unzureichenden Studienfinanzierung ein Hemmnis. 71% wollen sich nicht (etwa über die BAföG-Kredite) verschulden. Dazu kommt, dass diese Gründe prozentual mehr Frauen als Männer vom Studium abhalten und so die Diskriminierung weiter verstärken (S. 40 der Studie). Hier könnte eine Bundesregierung ansetzen und Ankündigungen Taten folgen lassen. Denn mit den nun beschlossenen Maßnahmen wird es Deutschland nicht gelingen, die Charakteristika eines selektiven, diskriminierenden und undemokratischen Bildungssystems abzulegen.