Stellungnahme zu Figuren vor der Unibibliothek und dem Brechtbau

Die rechtskonservative Szene wird nun auch an unserer Hochschule aktiver. Am Mittwoch, den 18. Mai 2016, fanden sich vor den Eingängen des Brechtbaus und der Universitätsbibliothek der Universität Tübingen sowie an verschiedenen Stellen in der Stadt Schmierereien auf dem Boden, deren Aussagen eindeutig rechts zu interpretieren sind. Zu sehen sind an den Standorten jeweils vier Leichenmarkierungen wie man sie an einem Tatort vorfinden würde, welche Schlagworte wie etwa „Deutschland“, „Tradition“, „Identität“ und „Familie“ tragen. Vermutlich möchten die unbekannten Sprayer_innen darauf aufmerksam machen, dass dem, was sie unter dem Begriff „Deutschland“ verstehen, der Tod drohe (à la Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“). Es scheint, als wollten die Urheber_innen auf einen von ihnen diagnostizierten Identitätsverlust (wie auch immer diese „Identität“ ausgestaltet sein mag) hinweisen.

Die Fachschaften Vollversammlung an der Universität Tübingen kritisiert diesen „Protest“ und die hinter ihm stehende, reaktionäre Botschaft aufs Schärfste.

Das Postulieren von homogenen, vermutlich biologistisch imaginierten Identitätskategorien, die sich an Konstrukten wie Nation oder heteronormativen Beziehungsformen orientiert, lehnen wir entschieden ab. Darüber hinaus erzeugen die genannten Kategorien willkürliche Ausschlüsse und stehen in rassistischer, diskriminierender und sexistischer Tradition. Dass als Ort dieser Polemik die Universitätsbibliothek, die als offener Raum für intellektuellen, interdisziplinären und interkulturellen Austausch steht, gewählt wurde, empfinden wir als besonders geschmacklos, da dadurch Menschen, die nach Meinung der Urheber_innen für den „Tod“der genannten Kategorien verantwortlich seien, zwangsläufig mit dieser Hetze konfrontiert werden und ihnen symbolisch der Zugang zu universitären Bildungsinstitutionen verwehrt werden soll. Die Universität muss jedoch ein angstfreier Raum bleiben, an dem jeder Mensch so sein kann, wie er_sie will. Systematische Ausschlüsse und das Reproduzieren von Ressentiments widerstreben nicht nur unserem Verständnis einer pluralen, individuellen Gesellschaft, sondern stehen auch dem offenen, freien intellektuellen Diskurs entgegen.

Wir appellieren nachdrücklich an die Universitätsleitung und die Stadtverwaltung, sich nicht nur eindeutig zu einer offenen und diskriminierungsfreien Universität bekennen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die Schmierereien schnellstmöglich entfernt werden und gegen die Urheber_innen vorgegangen wird. Nur durch eine solch eindeutige Positionierung kann die Universität Tübingen ihrem Credo „innovativ – interdisziplinär – international“ gerecht werden.