78 Stunden, 75 Dozenten, schlaflose Nächte und ein neues Universitätsverständnis

„Bisher hab ich die Prorektorin immer nur in hochschulpolitischen Kontexten erlebt und am Montag steht sie dann im Hösaal 21 und liest aus einem isländischen Text im Original. Das Bild, dass ich nun von ihr hab, ist doch ein ganz anderes.“ so reagierte Jan-David, als heute morgen um 5 Minuten nach Mitternacht die längste Vorlesung, die Tübingen bisher erlebt hat, endete. Nach 78 Stunden und 75 ganz unterschiedlichen Vorlesungen endete die von den Kupferbaubesetzern veranstaltete Marathonsession.

Dauervorlesung im besetzten Kupferbau

Im Rahmen der Beset­zung des Kup­fer­baus wird ab Mitt­woch, den 25. November, im Hörsaal 21 eine Dau­er­vor­le­sung statt­finden. In diesem Rahmen werden Dozen­tinnen und Dozenten der Uni­ver­sität Tübingen über ihren For­schungs­be­reich, ihre Inter­essen und aktu­elle Dis­kus­sionen in ihrem Wis­sen­schaft­ge­biet informieren. Eine schöne Gelegenheit, auch mal in ungewönliche Wissensgebiete vorzudringen und eine breite Bildung über die eigenen Fächer hinaus zu erhalten. Hier gehts zum Programm.

Tübingens längste Vorlesung!

vorlesungsverzeichnisIm Rahmen der Besetzung des Kupferbaus wird ab Mittwoch, den 25. November, im Hörsaal 21 eine Dauervorlesung stattfinden. In diesem Rahmen werden Dozentinnen und Dozenten der Universität Tübingen über ihren Forschungsbereich, ihre Interessen und aktuelle Diskussionen in ihrem Wissenschaftgebiet informieren.– Eine schöne Gele­gen­heit, auch mal in unge­wön­liche Wis­sens­ge­biete vor­zu­dringen und eine breite Bildung über die eigenen Fächer hinaus zu erhalten.

Den Start wird Herr Professor Dr. Wertheimer am Mittwoch um 18:oo Uhr machen, der zum Thema: Schiller oder die (nicht nur ästhetische) Erziehung des Menschen“ referieren wird.

Hier gibt es das Programm als PDF.

Die Vorlesungen werden in Zusammenarbeit mit dem ZDV aufgezeichnet und live ins Internet übertragen. Vielen Dank hierfür an Prof. Walter und das ZDV.

Bildungspolitik nicht vom Finanzminister diktieren lassen!

Bildung braucht Geld. Die GEW sieht einen Bedarf von 40 Mrd. € pro Jahr (zusätzlich zu den aktuellen Ausgaben), eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Länder und des Kanzleramtes kam auf von 26 Mrd (ebenfalls zusätzlich), und selbst der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP sieht 3 Mrd € pro Jahr vor. Natürlich unter „Finanzierungsvorbehalt“, aber immerhin zusätzlich.

Im gleichen Koalitionsvertrag heißt es auch: „Bildung ist der entscheidende Zukunftsfaktor für unser Land, aber auch für die Chancen jedes einzelnen Menschen.“ Was das wert ist, wurde deutlich, als die Finanzministerkonferenz der Länder pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen Mitte Oktober eine Vorlage veröffentlichte. Wie der Spiegel berichtet, rechnet die Finanzministerkonferenz nun vor, dass das Vorhaben des letztjährigen Bildungsgipfels, 10 % des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aufwenden zu wollen, schon längst übererfüllt sei!

Einerseits macht zwar die Wirtschaftskrise das BIP kleiner. Aber hier kann man auch was über kreative Buchführung lernen: Die Fortzahlung von Kindergeld, Steuervorteile wie die Ausbildungsfreibeträge bei der Einkommenssteuer oder die Absetzbarkeit von Firmenforschung, der ermäßigte Umsatzsteuersatz auf Bücher usw: Alles Investitionen in Bildung. Genauso wie Pensionen von Lehrern und Professoren. Oder zur Verfügung gestellte Gebäude und Grundstücke. Alles Bildung in Deutschland, der berühmte internationale Vergleich spottet da jeder Beschreibung. Das ist deutsches Alleinstellungsmerkmal.

Von den schönen, diffusen Rosa-Wolken-Worten im Koalitionsvertrag haben wir nicht viel. Der Blick in die Zukunft der Bildungsfinanzierung ist düster. Schon in der Vergangenheit wurde hier massiv gespart oder mit Studiengebühren umfinanziert. Die Folge davon sind ein massiv unterfinanziertes Bildungssystem mit allen bekannten Konsequenzen: ein gigantischer Sanierungs- bzw. Baustau, großer Mangel an Lehrpersonal an Hochschulen und Schulden. Ob die Regierungen von Bund und Ländern diese Missstände beheben, bleibt abzuwarten. Uns Studierenden bleibt nur zu hoffen, dass Bildungspolitik in Zukunft nicht mehr vom Finanzministern gemacht wird. Oder zumindest von Bildungspolitikern.

Wir freuen uns, dass jeder von Ihnen einen Sitzplatz hat.

Immer bereit, an der Uni-Palme zu nagen.
Immer bereit, an der Uni-Palme zu nagen.

Wie schon berichtet herrschen zur Zeit (unter anderem) in der Amerikanistik katastrophale Zustände. 700 neuimmatrikulierte Studierende in einer einzigen Vorlesung – das war für Prorektorin Steffanie Gropper, zuständig für Studium und Lehre, ein Anlass, sich bei den Studierendem zu entschuldigen. Auch Rektor Engler war anwesend, verließ aber den Saal, als ein lustiger Biber zur Tür hereinkam und sich auf eine Bank setzte.

Die Prorektorin blieb. Nachdem viele Studierende nach den Erfahrungen der letzten Woche gar nicht erst gekommen waren, begrüßte sie die verbliebenen: Wir freuen uns, dass jeder von Ihnen einen Sitzplatz hat! Gropper erklärte den Studierenden, man habe neue Seminare eingerichtet, um dort auf eine akzeptable Größe von 35 Studierenden zu kommen, zudem werde die Vorlesung in HS 22 übertragen. Auch versicherte sie, dass Pläne vorhanden seien, die den Studierenden ein vernünftiges Weiterstudieren ermöglichen sollten.

Ungefragt trat danach ein Vertreter der FSVV ans Rednerpult. Es gibt keinen Plan, widersprach er. Die Neuimmatrikulierten seien hierher gekommen, weil die Universität einen hervorragenden Ruf habe und müssten nun so etwas wie hier erleben. Lasst euch das nicht gefallen, rief er, fordert ein, was man euch verspricht. Er erinnerte die Anwesenden, dass es sowohl um die Zukunft der Studierenden gehe als auch um die der Universität und beschrieb, dass es schon unrealistisch sei, dass genügend Prüfer zur Verfügung stünden. Die Anwesenden applaudierten. Es gibt keinen Plan, wiederholte er – man möchte hinzufügen: Keinen, der je öffentlich werden würde, denn aus den betroffenen Fächern war schon durchgesickert, dass das Rektorat von den Dozierenden erwartet, den Jahrgang ganz einfach klein zu prüfen.

Leere statt Lehre im HS 22
Leere statt Lehre im HS 22

Professor Tonn, der anschließend die Vorlesung hielt, ging mit keinem Wort auf die Probleme und seine Vorredner ein. Ob das die Angst vor der Politik des Rektorats ist, oder ob er schlicht die verlorene Zeit aufholen möchte, unterliegt Spekulationen. Vielleicht ist er aber auch schon jetzt in seiner Arbeit überlastet, denn das Institut läuft schließlich auf einem vielfachen seiner Kapazität. Wem es jetzt noch nicht klar ist: Es muss so einiges passieren. Der Biber nagt weiter an der Universitätspalme – und wenn die Studierenden nichts tun, wird sich daran nichts ändern.

Regierung findet Geistes- und Sozialwissenschaften irgendwie gut oder so.

In langen, zähen Ver­hand­lungen haben sich die Experten von CDU, CSU und FDP auf ein ganz­heit­li­ches bil­dungs­po­li­ti­sches Konzept ver­stän­digt, das auch die so oft ver­nach­läs­sigten Geistes- und Sozi­al­wis­sen­schaften nicht ver­gisst. Um das zu hono­rieren, zitieren wir hier aus dem Koali­ti­ons­ver­trag der neuen Bun­des­re­gie­rung den voll­stän­digen Wort­laut aller Pas­sagen zu diesem Thema:

Wir werden die Geistes- und Sozi­al­wis­sen­schaften stärken, die von großer Bedeu­tung für unser kul­tu­relles Gedächtnis und die Gestal­tung unserer Zukunft sind.

Nach­zu­lesen bei der CDU, bei der CSU, und viel­leicht bekommt die FDP irgend­wann auch noch eine end­gül­tige Version online.

Mal was anderes zum Thema …

dsw1… Studentenwerk. „Ich kann alle Studierenden gut verstehen, die ihren Protest und ihren Unmut auf phantasievolle und friedliche Weise auf die Straße tragen“, erklärt Prof. Dr. Rolf Dobischat, Chef des Deuschen Studentenwerks in einer Pressemeldung zum geplanten Bildungsstreik. Das DSW ist der Dachverband der deutschen Studentenwerke. Unter anderem durch die regelmäßig durchgeführten Sozialerhebungen weiß es recht gut über die Lage der Studierenden Bescheid. Bei Dobischat kann also das notwendige Hintergrundwissen vorausgesetzt werden, wenn er weiter ausführt:

Unterfinanzierte Hochschulen und Studentenwerke; Studiengebühren, aber viel zu wenige Stipendien; eines der sozial selektivsten Hochschulsysteme weltweit, Studierende, die sich als ‚Kunden’ ihrer Hochschule und nicht als Mitgestalter begreifen sollen; Stress und Leistungsdruck in überfrachteten Bachelor-Studiengängen: Es gibt viele gute Gründe, um zu protestieren.

Er erhofft sich durch den Bildungsstreik, der nächste Woche bundesweit an zahlreichen Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen stattfinden wird, den Anstoß einer breiten gesellschaftlichen Debatte.

Weitere Informationen zum Bildungsstreik in Tübingen unter http://tuewas.org/

Frankenberg in Tübingen

Gestern Abend sprach Peter Frankenberg, Wissenschaftsminister unseres Landes, über „Wissen und Werte als Fundament einer Gesellschaft“. Der Vortrag wurde organisiert von der AV Cheruskia, die mit besonderem Stolz hervorhob, dass ihr Bundesbruder Erwin Teufel Frankenberg zum Minister machte.

Um seine Aussagen kurz zusammenzufassen: Die 68er wollten die Werte abschaffen, aber jetzt entdecken junge Menschen die Werte (wie Familie) wieder. Ablehnung von grüner Gentechnik ist irrational. Die Klimadebatte muss als Debatte der Verantwortung des Nordens (Verursacher) für den Süden (Opfer) geführt werden. Wir brauchen mehr Atomkraftwerke, um das Klima zu retten. Die Gehälter von Wirtschaftsführern werden demokratisch bestimmt und dürfen deshalb nicht kritisiert werden. Die Debatte über einen gerechten Lohn ist falsch, da zuerst der Begriff der Gerechtigkeit klar definiert werden müsse. Die Menschen sind heutzutage verunsichert, die Familie soll ihnen Halt bieten. Wertevermittlung soll in der Familie stattfinden, an der Schule sollen die Lehrerinnen auch wieder Erzieherinnen werden, vor allem die Hochschulen sollen Werte vermitteln. Hier seien Burschenschaften besonders wichtig, da sie Studierenden eine Heimat gäben. Weiter  erklärte der Minister, dass Wertevermittlung auch über Märkte funktioniere,  da ein Markt ja auch auf Werten beruhe. Warum das Bildungsziel im Landeshochschulgesetz zum Ausbildungsziel wurde, wollte er nicht sagen. Um eine breite Bildung zu erlangen, soll man auch in andere Fächer reinschnuppern; dem stehen weder die Umstrukturierungen durch den Bachelor „und schon gar nicht Studiengebühren” entgegen. Der Vorteil des Bachelors gegenüber dem Fachhochschulabschluss sei die Auslandserfahrung der Absolventen. Frankenberg schloss mit dem Fazit: So wie die Erde immer in Bewegung bleiben müsse, sich immer verändern müsse, um das Leben zu erhalten, so müsse auch die Uni in Bewegung bleiben. „Eine Uni, die Ruhe hätte, würde einschlafen”.

Der  Vortrag war etwas ziellos. Wer eine Analyse erwartet hatte, inwiefern Wissen und Werte das Fundament einer Gesellschaft darstellen und wie zum Beispiel die Vermittlung von Wissen und Werten an den Universitäten geschehen sollte, um das Fundament der Gesellschaft zu stabilisieren oder so, wurde enttäuscht.

Nachbemerkung:
Unterdessen waren zehn weitere ZuhörerInnen in den Saal gekommen, begleitet von zwei Polizisten, die mit ihrem Funkverkehr die Veranstaltung doch erheblich störten. Als nach der Veranstaltung dann zum Sektempfang im kleinen Senat eingeladen wurde, zeigte es sich, dass es insgesamt zehn Uniformierte waren, die alle Nicht-Korporierten daran hinderten, in den kleinen Senat zu gehen. Was blieb uns übrig, als vor dem kleinen Senat zu bleiben und uns dort mit den Veranstaltern, dem Rektor und anderen Besuchern zu unterhalten? Der Minister blieb unter den Farbenträgern. Selbst als sich nur noch drei Studierende außerhalb des kleinen Senats mit Angestellten des Rektorats unterhielten, standen immer noch sechs PolizistInnen um uns herum. Die Frage „Warum?” wurde mit einem „Damit nichts passiert” beantwortet und dem Nachsatz, „Wenn wir nicht hier wären, wäre schon längst was passiert.” Wir fanden es ziemlich unverschämt, mit dieser Begründung wie Schwerverbrecher bewacht zu werden und sind der Meinung, dass eine solche Behandlung sich nicht mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats vereinbaren lässt.