Stellungnahme zum VS-Gesetzentwurf

Quelle: vs.freiburg.de
Quelle: vs.freiburg.de

Die Verfasste Studierendenschaft kommt – der Gesetzesentwurf widerspricht in zentralen Punkten den Interessen der Studierenden: Warum das VS-Gesetz nicht wirklich ein Grund zu feiern ist

Seit über 30 Jahren fordern Studierende in Baden-Württemberg die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft. Nun wird die grün-rote Landesregierung dieser Forderung nachkommen. Die Studierendenvertretungen sollen sich freuen, unsere Wissenschaftsministerin wünscht sich von uns Enthusiasmus und Unterstützung. Warum uns das schwerfällt? Warum wir nicht in Feierlaune sind? Der Gesetzesentwurf zur Verfassten Studierendenschaft, der jetzt im Landtag diskutiert wird, hat mit unseren Vorstellungen von Selbstverwaltung und politischer Mitsprache weniger gemeinsam, als wir uns zu Beginn des Prozesses vorstellen konnten.

Der Gesetzesentwurf widerspricht in zentralen Punkten den Interessen der Studierenden. Mehrere Stellungnahmen der Landesstudierendenvertretung, der grünen Hochschulgruppen, der LAG Hochschule und anderer Gruppen, die immer wieder die gleichen zentralen Probleme ansprechen, sind bis zuletzt seltsam unberücksichtigt geblieben.
Im Anhörungsverfahren lud unsere Ministerin eine eigenwillig zusammengesetzte Auswahl von Studierenden nach Stuttgart, deren Zustandekommen uns unverständlich bleibt: Sie umfasste einerseits handverlesene Gruppen wie Greening the University und Arbeiterkind, die sich zuvor nie mit der Verfassten Studierendenschaft befasst hatten, und bildete andererseits die Haltung der Studierendenvertretungen im Land völlig verzerrt ab. Bitten um einen Anhörungstermin mit Vertreter_innen der Studierendenvertretungen aller Hochschulen wurden abgelehnt. Stattdessen eröffnete das Wissenschaftsministerium mit viel Wind um wenige Inhalte die Online-Plattform „wir-wollen-deinen-kopf.de“ – eine Anhörung im Facebook-Style, die keine differenzierte Diskussion ermöglichte. So wünschenswert das Einbeziehen einer breiten Öffentlichkeit und internetbasierte Beteiligungsformen auch sind: Wer meint, die „digital natives“-Generation ließe sich mit ein paar roten und grünen Däumchen zum Anklicken zufriedenstellen, irrt sich; und ein online eingeholtes Stimmungsbild kann direkte Gespräche mit Betroffenen ergänzen, aber nicht ersetzen.
Nicht nur der politische Entscheidungsprozess, auch der Gesetzesentwurf irritiert. Er trägt ganz offensichtlich die Handschrift eines noch immer schwarz geprägten Ministeriums. An dieser Stelle können nur die wichtigsten Kritikpunkte Erwähnung finden:
1. Das geplante Gesetz schließt offene Fachschaftsmodelle praktisch aus, da Wahlen durch Vollversammlungen nicht zugelassen werden. Die Entscheidung, ob Wahlen in Vollversammlungen stattfinden sollen, muss der Satzungshoheit der Studierendenschaften überantwortet werden.
2. Ebenfalls in den Bereich der Satzungshoheit muss die Entscheidung fallen, ob die studentischen Gremienmitglieder, z.B. in Senat und Fakultätsrat, direkt gewählt oder durch Organe der Verfassten Studierendenschaft entsandt werden. Der Gesetzesentwurf schreibt eine Direktwahl vor.
3. Neben Fragen, „die sich mit der gesellschaftlichen Aufgabenstellung der Hochschule, ihrem Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung sowie mit der Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Abschätzung ihrer Folgen für die Gesellschaft und die Natur beschäftigen“, wie es im Gesetzesentwurf heißt, muss sich die Studierendenschaft auch zu solchen Fragen äußern können, die die Lebensumstände der Studierenden, die Mobilität und die Förderung des Erreichens der Ziele des Studiums betreffen.
4. Der Zwang, einen Beauftragten für den Haushalt einzustellen, der die Befähigung für den gehobenen Verwaltungsdienst hat, bedeutet eine enorme finanzielle Belastung, die Studierendenschaften kaum tragen können. Die Kompetenz, den Haushalt einer Studierendenschaft zu führen, setzt keine Befähigung für den gehobenen Verwaltungsdienst voraus.
5. Dass die Studierendenschaften ein Einvernehmen mit den Studentenwerken herstellen müssen, wenn sie Aufgaben wahrnehmen möchten, die auch das Studentenwerk wahrnimmt, schränkt die Möglichkeit der Studierendenschaften ein, sich für die sozialen Belange der Studierenden einzusetzen. Ein Benehmen mit den Studentenwerken muss ausreichen. Da die Studentenwerke für die sozialen Belange der Studierenden ein zentraler Verhandlungspartner sind, darf die Bestellung des/der Geschäftsführer_in eines Studentenwerks nicht ohne die Zustimmung der betroffenen Studierendenschaft(en) erfolgen.
Wenn das Gesetz in seiner derzeitigen Form im Landtag beschlossen wird, kann unsere Feierlaune nicht besonders ausgeprägt sein. Die lange erhoffte Wiederherstellung studentischer Selbstverwaltung wäre auf halbem Wege stehengeblieben. So erfreulich die neuen Möglichkeiten im Rahmen der Verfassten Studierendenschaft wären – in letzter Konsequenz wären wir womöglich gezwungen, einen Teil unserer Arbeit weiterhin in unabhängige Modelle zu verlagern.